Sonntag, 31. Juli 2011

Arbeitsplatzbeschreibung "Dressing Room"

Arbeitsplatzbeschreibung: Dressing Room („Verbandraum“)


Wie bereits erwähnt möchte ich im Folgenden meine Arbeit der letzten 6 Wochen schildern.
Seit Ende Mai arbeite ich im Dressing Room. Als wir in Gambia ankamen, wurde die Arbeit von einem einheimischen Pflegehelfer erledigt. Zu Beginn unseres Dienstes hat ihm Jonas dabei zusätzliche Unterstützung geboten. Schließlich hat Valerie eine Zeitlang den Dressing Room umfunktioniert , sowohl was die Raum- und Schubladengestaltung anbelangt, als auch inhaltlich z. B. das Anlegen von Patientenverlaufsakten für Patienten mit chronischen Wunden. Ende Mai hat mir also Valerie innerhalb von 3 Tagen die Patienten übergeben, sodass die Patientenversorgung kontinuierlich und unverändert fortgesetzt werden kann.

In den Dressing Room kommen Montag bis Samstag von 8-14 Uhr Patienten mit kleineren und größeren Verletzungen oder chronischen Wunden um sich „dressen“ also verbinden zu lassen.
Einige der Patienten kommen schon seit mehreren Jahren/Monaten und lassen ihre Wunden behandeln. Aber der Großteil braucht nach 5-10 Terminen nicht mehr kommen.
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Dressing Room von der Eingangstür aus

Arbeitsfläche


Es läuft in der Regel so ab, dass die Patienten sich an der Registration anmelden und 25 Dalasi zahlen (das sind zur Zeit ca. 60 Cent; HIV Patienten müssen nichts bezahlen). Dafür bekommen sie eine Health Card „Gesundheitskarte“ mit welcher sie in das Büro einer Krankenschwester können. Diese schaut sich meistens die Wunde nicht an, sondern verschreibt direkt eine Mischung aus einem Antibiotikum, Paracetamol/Diclofenac und Vitamin-B-Complex und schickt die Patienten in den Dressing Room. Dann kann es schon mal vorkommen, dass man eine Health Card bekommt, mit der Diagnose „schmerzender Finger“. Wickelt man dann den eigens vom Patienten angelegten dreckigen Stofflumpen ab, kommt einem nicht nur ein süsslich, penetranter faulender Wundgeruch entgegen, sondern ein Finger, den man auf den allerersten Blick am liebsten amputieren würde. (Das Ganze jetzt noch einmal bei 36 Grad Celsius und ca. 90 % Luftfeuchtigkeit vorstellen, in einem 10 Quadratmeter großen Raum mit (mittlerweile) Deckenventilator, wenn nicht gerade der Strom ausgefallen ist). Genauso oft kommt es aber auch vor, dass ein Patient dringend eine Antibiotikatherapie benötigt, aber nichts verschrieben bekommt, sodass ich im Zweifel nach dem Verbandswechsel noch einmal die Schwester darauf anspreche (die im Grunde ja nicht wissen kann, dass der Patient ein Antibiotika braucht, weil sie ja die Wunde nicht gesehen hat).
Wenn die Patienten noch ein- oder mehrere Male wiederkommen sollen, bekommen sie eine Appointment Card und müssen beim nächsten Besuch nicht mehr zur Schwester herein, sondern zahlen an der Registration 10 Dalasi und können direkt in den Dressing Room.
Appointment Card von Innen

Zur Zeit haben wir schätzungsweise +/- 30 verschiedene Patienten die jeden Tag oder jeden zweiten bis dritten Tag zur Behandlung kommen. Manchmal kommen sie auch einfach nicht wieder, obwohl eine zweite/ weitere Wundbehandlung unabdingbar wäre. Die Gründe sind wohl verschieden....mangelndes Geld für die Behandlung/Kauf der Medikamente, mangelndes Vertrauen in die/den Behandelnden oder sie entscheiden sich, zu einem Marabout lokaler „Wunderheiler“ zu gehen (der es in der Regel noch schlimmer macht als vorher).
Montags hat man in der Regel am meisten zu tun mit bis zu 23 Patienten innerhalb 6 Stunden. Auch Mittwochs und Freitags hat man gut zu tun. Dienstag, Donnerstag und Samstag kann man sich in der Regel auf 8-15 Patienten vorbereiten. Das liegt schlichtweg an dem Intervall in welchem man die Patienten zur nächsten Behandlung einbestellt.

In der Nacht auf den 2. Juni hat die Regenzeit begonnen. Das heißt, das Klima ist sehr feucht, die Straßen sind oft dreckig und man läuft nicht selten durch Matsch und tiefe verschmutzte Pfützen hindurch. Wunden heilen in dieser Zeit generell schwieriger und somit müsste man in der Regel mehr im Dressing Room zu tun haben als in der Trockenzeit. Da die Touristensaison aber vorbei ist, merkt man auch, dass die Patienten bis zur nächsten Saison keine Arbeit haben, also kein Geld für eine medizinische Behandlung und nicht in die Clinic kommen. Ebenfalls sind viele bis auf Weiteres ins Inland für die nun mit der Regenzeit beginnende Landwirtschaft gezogen.

Das Patientenspektrum reicht von 9 Monate alt bis zur ältesten Generation, weibliche und männliche Patienten, unabhängig von Religion, Ethnie oder gesellschaftlicher Klasse.
Sehr oft hat man Patienten, aber vor allem Klein-/Kinder, mit Verbrennungen bis Grad 2b, die an den vielen offenen Feuerstellen auf dem Familiengrundstück in heiße Asche laufen oder kochendes Wasser/Tee am Körper abbekommen.
Wie eigentlich bei allen Verletzungen ist es so, dass die Patienten erst dann medizinische Hilfe aufsuchen, wenn sie unglaubliche Schmerzen oder Funktionseinschränkungen spüren und es dann meistens schon zu spät ist und eine Wundheilung dadurch sehr lange hinausgezögert wird, als eigentlich nötig gewesen wäre.
Des Weiteren kommen viele Patienten die eigentlich nur eine kleine Wunde am Finger oder Fußzeh hatten, die sich jedoch sehr schnell ernsthaft infiziert und zu einem septischen Finger entwickeln. Hier auch wieder, weil Hilfe zu spät aufgesucht wird. In allen Fällen hat sich bewährt, die abgestorbene Haut zu entfernen, woraufhin meist eine Abszesshöhle sichtbar wird. Sobald der Eiter abgeflossen und das Gewebe gereinigt ist, kann die Wunde über 3-4 Wochen mit Hilfe einer zeitweiligen Antibiotikatherapie komplikationslos abheilen.
Dann kommen natürlich auch Patienten mit Schnittverletzungen die genäht werden müssen oder tiefen Wunden, die bereits mehrere Tage alt und somit nicht mehr fürs zunähen geeignet sind.
Nicht selten kommen Patienten mit einem entzündeten Keloid („überschüssig gebildetes Narbengewebe“ nach einer Verletzung). Meistens kann man hier nur noch operativ helfen und sie auf die Warteliste für das nächste Face-Project (siehe Bericht vom 14. Februar 2011) setzen.
Man sieht quasi jede Woche eine neue aufregende Wunde, die man zuvor noch nicht behandelt hat oder nur aus Lehrbüchern kennt und in Deutschland so (!) niemals zu Gesicht bekommen würde.
Da wir in unserer kleinen Clinic über keine größeren chirurgischen Behandlungsmöglichkeiten verfügen, kommt es auch vor, dass wir Patienten in große Krankenhäuser verweisen oder vor der weiteren Behandlung zum Röntgen in ein nahegelegenes Institut schicken. Wundabstriche machen wir in seltenen Fällen auch bzw. nehmen die Abstriche ab und lassen sie in einem auswärtigem Labor auf Resistenzen/ Keime untersuchen. Natürlich setzt dies voraus, dass der Patient den Abstrich von 200 Dalasi (ca. 5 Euro) bezahlen kann.

Nicht zuletzt betreuen wir seit vielen Jahren/Monaten 3 Patienten mit chronischen Wunden.
Darunter ein älterer Herr mit einem chronischen Ulcus am linken Schienbein. Die Wunde besteht schon seit über 2 Jahren und heilt partout nicht zu bzw. wird mal besser und dann plötzlich schlechter. Die Ursache der Wundheilungsstörung ist nicht bekannt, der Patient selbst sagt die Wunde wäre zu Beginn „einfach so entstanden und dann immer größer“ geworden. Der Patient wickelt sich seine Verbände gelegentlich auch selbst zu Hause ab und wieder an, obwohl er mehrfach darum gebeten wurde, dies zu unterlassen. Eine Antibiotikatherapie wurde einmal verschrieben, ob er seine Medikamente regelmäßig genommen hat ist nicht überprüfbar und hat auf die Dauer auch nicht geholfen.
Ebenfalls darunter ein 20 jähriger Schneider mit chronischen Ulcera an beiden Schienbeiden. Beide Male hat er sich verletzt, am linken Bein vor 2 Jahren, am rechten erst vor 4 Monaten. Beide Wunden heilen nicht zu. Ein Wundabstrich wurde durchgeführt mit dem Ergebnis von E. Coli auf beiden Wunden. Ein passendes Antibiotikum gegen das er sensibel war wurde eingesetzt und höchstwahrscheinlich auch verantwortungsvoll eingenommen. Nicht desto trotz werden die Wunden nicht auffallend besser.
Der letzte unter den Dreien ist ein im Rollstuhl sitzender 22-jähriger Patient mit dem Verdacht auf einen Tumor im Lendenwirbelbereich. Zu Beginn (Anfang des Jahres 2011) kam er mit 3 geschwulstartigen Wunden am Steiss, am Knie und an der Fussohle, stark infiziert, übel riechend und stark sekretfördernd. Mittlerweile können wir verzeichnen, dass die Wunden am Steiss und Knie fast vollständig zugeheilt sind. Lediglich die Wunde an der Fussohle wird nicht nennenswert besser.

Eine Auswahl an Verbandsmaterialien wie wir sie in Deutschland haben, haben wir hier natürlich nicht einmal annähernd. Hier mal eine Liste, was ich in den letzten Wochen fast immer benutzt habe (mehr ist prinzipiell auch nicht vorhanden):
  • Mull-/Vliesstoffkompressen steril und unsteril (nicht alle Grössen und seit 3 Wochen ungefähr ist der Bestand leer)
  • Schlitzkompressen (steril)
  • Saugkompressen
  • noch einige wenige nicht wundverklebende Kompressen
  • Mullbinden in mehreren Grössen
  • Kurzzug- und Langzugbinden (liegen nur im Schrank benutzt und finden fast keine Verwendung)
  • Schlauchverbände
  • Pflaumentupfer unsteril
  • Salbenbaumwollgaze
  • Hansaplast Pflaster
  • verschiedene Sorten Pflasterstreifen zum verschliessen der Verbände
  • Ringer Lösung oder NaCl zum spülen der Wunden
  • Iod-Lösung zur Desinfektion (das brennt brennt natürlich ungemein, aber leider fehlt hier sowas wie Octenisept)
  • Wasserstoffperoxid (wird ja eigentlich nicht mehr zur Wundbehandlung benutzt, da in gewissem Grad Gewebetoxisch, aber wird hier dennoch von manchen Kollegen gerne genommen)
  • chirurgische/anatomische Pinzetten; Einmalskalpelle (es besteht auch die Möglichkeit zu sterilisieren)
  • Neomycin Salbe; Silbersulfat Salbe; Woundointment (sowas wie Panthenol Salbe)
  • 5-6 Hydrokolloidverbände (werden quasi für Wunden aufgehoben wo sie besonders gut helfen würden)


Vor allem fehlt es an richtig saugstarken Verbänden wie z. B. PU-Schaumverbände oder Ähnliches.
Denn oftmals ist es so, dass die Patienten sehr sekretfördernde Wunden haben, was durch einfache Kompressen gar nicht aufgefangen werden kann.
Erster Schrank mit Materialien

Zweiter Schrank und so ziemlich ALLES was wir noch übrig haben

Der Bestand wird immer weniger und es ist die Frage, wann die nächsten Spenden kommen. Momentan habe ich noch keine Idee wie in den nächsten Monaten die Wunden abgedeckt werden sollen. So ganz ohne Kompressen....aber bisher hat es wohl auch immer funktioniert.
Als ich das erste Mal PEG- und Tracheostoma Verbandsets im Lager gefunden habe, habe ich mich ungläubig gefragt, was man mit solchen Spenden hier in Gambia anfangen soll. Hier hat ganz bestimmt niemand eines von beiden, was schon alleine daran liegt, dass man erst einmal einen Arzt bräuchte der sowas anlegen kann, geschweige denn vom Geld das der Patient für so eine Op nicht hätte. In ganz Gambia wird man abgesehen davon nur schwer an Sondennahrung herankommen.
Wie dem auch sei, man kann solche Sets auch gut auseinander nehmen und zweckentfremden. Es nimmt zwar viel Zeit in Anspruch, aber letztendlich hat man dann einen Berg voller Kompressen, einen daneben mit Fixomullpflaster und einen weiteren mit diesen silberbeschichteten Schlitzkompressen. Auch von Nutzen sind Schnellverbände, die man vielleicht nicht für alle Wunden benutzen kann, da die Auflagefläche für die meisten Wunden zu gross ist. Wenn man die Enden abschneidet hat man eine kleinere Fläche und zusätzlich 6 unsterile Tupfer nachdem man die abgeschnittenen Enden auch noch einmal zerschneidet. 
Auch die vielen sterilen Abdecksysteme für Knie-Operationen kann man gut zerschneiden und hat am Ende einige kleine Unterlagen für Verbandwechsel übrig.
Letztendlich ist es eine Frage der Kreativität, was man zum verbinden benutzt und wie man sich was zurechtschneidet, wenn man in dem Moment nicht die optimalen Materialien zur Hand hat.
Auseinander genommes PEG-Verbandwechsel Set

Zerschnittener Schnellverband mit dem Ergebnis vieler Tupfer (rechts)

Schnellverband


Jetzt habe ich sehr viel geschrieben und trotzdem sind das noch nicht alle Gedanken die mir durch den Kopf gehen. Man könnte noch von so vielen Patienten berichten und deren Geschichten, aber das würde hier einfach den Rahmen sprengen und sicherlich auch meine Schweigepflicht ;)


Ich hoffe, ich konnte jedem ein Bild vermitteln, aus welchen Problemen der Clinic- Alltag hier besteht, wie es hier so abläuft und was ich Tag für Tag erlebe.
Ich kann bereits jetzt für mich sagen, dass ich hier und vor allem in den letzten Wochen im Dressing Room medizinisch und pflegerisch sehr viel dazugelernt habe. Vor allem, weil es keinen Arzt gibt und man so letztendlich nur auf sich selbst angewiesen ist oder mal einen Kollegen fragen kann, der zwar auf ungefähr gleichem theoretischem Wissenstand ist, aber vielleicht doch praktisch das Problem schon gesehen und behandelt hat.
Ganz klar habe ich schätzen gelernt, wie wertvoll es ist, in Deutschland nicht nur (grösstenteils) kompetente Kollegen zu haben sondern vor allem Ärzte die man jederzeit zu Hilfe holen kann!
Ich habe mir hier sehr oft gewünscht, jemanden zu haben, der mir sagen kann, ob das was ich mache sinnvoll ist bzw. ob man es noch optimieren kann. Aber vielleicht ist es auch eine gute Erfahrung, denn somit ist man ununtebrochen am sich selbst reflexieren und ich denke, auf diese Art und Weise lernt man noch am effektivsten!

Jetzt verabschiede ich mich erst ein mal und kann hoffentlich bald mit neuen Erfahrungen aus dem städtischen Krankenhaus in Banjul berichten.


Im Rahmen von diesem Bericht richte ich viele Grüße aus nach Deutschland, vor allem natürlich an meine angehende Ärztin und Schwester Silvana, an meine ehemalige Schulbanknachbarin und Freundin Denise, die sich sicherlich beim Lesen wieder schlapp gelacht hat ;)
Und nicht zuletzt natürlich an das gesamte Lehrerteam der Regina-Protmann Schule (Herr Colonius Unterlagen zum Thema Verbandwechsel als auch Frau Saradopoulus Unterrichtsunterlagen über Kinderkrankenpflege habe ich allesamt hier bei mir =)


Also bis bald!

Eure Janina






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